
European Tree of the Year 2020
Europäischer Baum des Jahres 2020 – Die Kiefer von Chudobín
Seit zehn Jahren gibt es die Wahl zum Europäischen Baum des Jahres. Fast 300.000 Menschen haben 2020 an den Abstimmungen teilgenommen und ihre Stimme für ihren Favoriten abgegeben. Mit deutlichem Abstand ging der Titel nach Tschechien.
Bei der Wahl zum European Tree of the Year 2020 standen Bäume zu Auswahl, die sich durch mehr auszeichnen, als pure Schönheit oder ein besonders hohes Alter. Oft sind es Bäume mit einem einzigartigen Charakter oder einer besonderen Geschichte. Die Bäume zeigen auf ihre besondere Art und Weise, warum sie für unsere Umwelt, den Planeten und nicht zuletzt für uns Menschen wichtig sind. Die Geschichten der Kandidaten zum Europäischer Baum des Jahres sind häufig mit dem Alltag und dem kulturellen oder religiösen Leben der örtlichen Bevölkerung verbunden.
Der Gewinner: Die Kiefer aus Chudoín
Der europäische Baum des Jahres 2020 ist eine einsame Kiefer, die auf einer Landzunge des Staudamms Vir wächst. Er setzte sich in der offenen Abstimmung gegen 16 weitere europäische Bäume durch. Für die tschechische Kiefer stimmten über 47.000 Menschen. Der zweite Platz ging an einen Ginkgo aus dem kroatischen Daruvar und Platz drei an eine Lorbeerblättrige Pappel im fernen russischen Kalmückien.
Die 350 Jahre alte Kiefer ist der letzte Zeuge des verschwunden Dorfes Chudobín in der Tschechischen Republik. Durch einen Staudamm wurde das Dorf überflutet, während die Kiefer bis heute auf einer felsigen Landzunge über dem Wasser thront. Früher war die Kiefer insbesondere durch eine Legende bekannt, die sich die Bewohner des Dorfes erzählt haben. Diese besagt, dass in der Nacht ein Teufel unter der Kiefer saß und Geige spielte. Wahrscheinlicher ist jedoch, dass die Bewohner damals im Tal die Winde hörten, die durch den Baum auf dem Hügel wehten.

Fotos: 1) M. Olbrzymek
Die Ungewöhnlichen
Über 80 Baumarten sind in Deutschland heimisch, in Europa sind es sogar 500. Unter ihnen gibt es viele, die in der Natur rar sind oder wenig auffallen. In der kleinen Gemeinde Uzovská Panica findet sich ein für die Slowakei seltener Speierling. Gepflanzt vor über 250 Jahren war er lang als Grenzbaum eine wichtige Landschaftsmarke und erinnert heute mit seiner prächtigen Blüte an die Glanzzeit des Obstbaus in der Region. Einsam steht eine Lorbeerblättrige Pappel auf einem Hügel bei Har Bulukskoe in Kalmückien, Russland. Von einem buddhistischen Mönch gepflanzt, dient der Baum mit seinem Schatten vielen Reisenden in der Steppe als wichtige Wegmarke und Rastplatz.
Der mächtige, sich tief verzweigende Ginkgo im kroatischen Daruvar, wächst seit über 200 Jahren vor dem Schloss der Stadt. Jeden Tag erlebt der Baum neue spannende Geschichten mit den Menschen der Stadt und den Menschen, die das Schloss besuchen. Liebevoll nennen ihn die Menschen Adam und den danebenstehenden Ginkgo Eva. Auch die Bewohner im polnischen Rzeszów setzen sich für einen besonderen Baum in ihrer Siedlung ein. Dort wächst seit 200 Jahren ein einzigartiger Holunder. Obwohl die Baumart vor allem als Strauch bekannt ist, hat dieses Exemplar den typischen Habitus eines Baumes.
Die Eichen
Knorrige Eichen zählen zu den besonderen und herausragenden Baumexemplaren. Sie ziehen viele Blicke auf sich. Eichen können sehr alt werden, sind in vielen Mythen als heilige Bäume vertreten und haben einen imposanten Wuchs. Diese Eigenschaften machen auch die Stiel-Eiche als Baum der Freiheit von Kaposvar in Ungarn bekannt. Seit 90 Jahren steht sie auf einem Schulhof und symbolisiert die wichtigsten Meilensteine der ungarischen Geschichte. Die knochige Eiche im bulgarischen Novo Selo ist ein stiller Zeuge der Entstehung des Ortes und könnte viele Geschichten erzählen. Seit 2010 wächst neben ihr eine junge Eiche, die fleißig den Geschichten ihrer großen Verwandten lauscht.
Auch die Allerton Eiche in Liverpool ist ein Zeuge der langen und aufregenden Geschichte der Stadt. Im Mittelalter war die Stiel-Eiche wohl ein Gerichtsbaum und die große Explosion eines Schiffes im Hafen der Stadt hinterließ Spuren am Baum. Unter der „Eiche der hundert Ritter“ im italienischen Tricase traf sich einst Friedrich II. mit seiner Armee. Heute ist die 700-jährige Velonia-Eiche mit ihrer riesigen Krone einer der ältesten Bäume der Region.
Die Alten
Trotz ihrer 700 Jahre ist die Velonia-Eiche nicht der älteste Baum, der zum Europäischer Baum des Jahres 2020 nominiert ist. Die Stein-Eiche aus dem spanischen Mendaza schätzen Experten auf etwa 1.200 Jahre. Sie ist als älteste dreibeinige Eiche der Welt eine lokale Berühmtheit. Der hohle Stamm vermittelt dem Betrachter den Eindruck als stünde der Baum auf drei Beinen. Ebenfalls über 1.000 Jahre alt ist eine mächtig dicke Esskastanie im kleinen Dorf Vales, Portugal. Es wird angenommen, dass die Römer den Baum vor Ort kultivierten.
Eiben wachsen langsam und viele werden über 1.000 Jahre alt. Mit 600 Jahren ist der Eibenbaum der Hexen im Blarney Castle bei Cork in Irland fast ein Jungspund. Er sitzt auf einem mythischen Kalkfelsen, der einst die Heimat der Blarney-Hexe war. Die 500 Jahre alte Weißtanne im rumänischen Sibiu trägt den Beinamen „Der Wächter von Cibin“. Einst erlebte ein Schäfer auf der Suche nach seinen verschwundenen Schafen ein Wunder unter ihren Zweigen.
Die Geschichtenerzähler
Ein wichtigstes Kriterium für die Kandidaten zum European Tree of the Year 2020 sind die Geschichten hinter den Bäumen. Lebte in Blarney die Hexe bei der Eibe, ist sie beim Hexenbaum im Niederländischen Bladel darunter begraben. Die Buche ist die letzte Ruhestätte einer berüchtigten Dame, die eine gefährliche Räuber- und Schmugglerbande anführte. Eine Rosskastanie in Waret-La-Chaussée ist als Baum der Freiheit bekannt. Sie wurde zum Sturz von Ludwig XVI., der als „Tyrann“ galt, gepflanzt. Die Wurzeln der Kastanie sind ebenso fest in der Erde verankert, wie die Freiheit im Herzen des Volkes.
Die kolossale und ausladende Buche in Saint-Jammes bei Sorèze mit Blick auf die Ruinen der Kapelle ist seit über 450 Jahren Zeitzeugin der Geschichte. Sie überlebte die Französische Revolution und schwere Stürme. Sie erlebte Pilger und Wanderer, die an ihr vorbeikamen, eine Rast einlegten und vielleicht die ein oder andere Geschichte erzählten. Auch Gewinner des Europäischen Baum des Jahres 2020, die 350 Jahre alte Kiefer des verschwunden Dorfes Chudobín zählt zu diesen Geschichtenerzählern.